AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo

japanistik
musikstudien von japan im ausland


rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien

1970-1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo

fachbereiche
ästhetik, wahrnehmung, strukturaktionstheorie, fundamente der expression und kommunikation des menschen

Armand Hauchecorne
Paul Claudel
1868-1955

Japan gehört zu den Ländern, die bei der Einführung der Musikethnologie in Brasilien eine besondere Aufmerksamkeit erfuhren. Die Entwicklung der Studien in den folgenden Jahren erfolgte aus nipo-brasilianischer Perspektive und aus Überlegungen, die Japaner im Ausland und die Nipo-Brasilianer nachfolgender Generationen – Nisei – anstellten, sowie durch luso-brasilianische Musikforscher, die sich an diesen beteiligten.


Der Grund für diese Bedeutung japanologischer Studien aus der Nisei-Perspektive der Immigration liegt in der großen japanischen Bevölkerungsgruppe São Paulos. Da die Fakultät für Musik, Kunst- und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo sich in dem Stadtviertel Liberdade befindet, der von Japanern und ihre Nachkommen – aber auch u.a. von Chinesen – bewohnt wird, wurde sie von einer großen Anzahl von Studierenden aus japanischen Familien besucht und nimmt sie am Kulturleben der japanischen und nipo-brasilianischen Gemeinde intensiv teil.


Die Behandlung von Aspekten musikalischer Japanologie im Fachbereich Musikethnologie wurde erleichtert und gefördert durch das japanische Kulturinstitut, das in der Nähe der Fakultät angesiedelt ist. Es wurden mehrere Studien zu nipo-brasilianischen Themen orientiert, die als Abschlussarbeiten der Lizenziatur in Musik sowie Musik- und Kunsterziehung vorgelegt wurden.


Da sie meist von Studierenden erarbeitet wurden, die bereits als Musiklehrer in Schulen mit einer beträchlichen Anzahl nipo-brasilianischer Kinder und Jugendlicher tätig waren, beziehen sie sich vorwiegend auf Kinderlieder sowie auf Musikinstrumente, Gesänge und Traditionen, die in deren Familien gepflegt wurden. Sie wurden empirisch im Sinne der Alltagsmusikforschung durchgeführt durch Beobachtungen und Befragungen im Rahmen sozio-kultureller Netzwerke, die von den Schülern ausgingen.


Das noch bekannte Repertoire von traditionellen japanischen Liedern in verschiedenen Schulen wurde erhoben. Die bereits eingetretenen Abweichungen von den Vorlagen, die aus japanischen Quellen bekannt waren, wurden diskutiert. Zugleich wurden einige der tradierten Lieder in den Musikunterricht in Klassen von Kindern unterschiedlicher Abstammung einbezogen.


Beim von Deutsch-Akademischen Austauschdienst ermöglichten Aufenthalt in Deutschland zur Anknüpfung von Kontakten und Förderung der Zusammenarbeit im Sinne des entwickelten Ansatzes einer kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung ab 1974 wurde diese in Brasilien entstandene nipo-brasilianische Forschung in Köln als einem Zentrum der japanologischen Studien ab 1975 fortgesetzt. Die Studien japanischer Musikkultur, die vor allem von Robert Günther (1929-2015) vertreten wurden, konnten in ihrem Spektrum durch die Berücksichtigung der Perspektive der japanischen Immigration und der Nisei-Sichtweisen erweitert werden.


Bei der Auseinandersetzung mit der Musikkultur Japans in Brasilien waren vor allem französische Autoren die Vermittler. Informationen und Materialien sowie die Übersetzungen konnten durch die Unterstützung der Nipo-Französischen Kulturgesellschaft beschafft werden. Grundtext des Studiums an der Musikfakultät war der Aufsatz über die japanische Musik von Armand Hauchecorne (1873-?) in der von Fernando Lopes Graça (1906-1994) geleiteten portugiesischen Ausgabe der von Roland-Manuel (1891-1966) herausgegebenen Enzyklopädie der Pléiade. Damit waren die Kenntnisse über Japan eng mit der diplomatischen Geschichte Frankreichs und den Bestrebungen zu einer Annäherung zwischen japanischen und frankophonen Intellektuellen geprägt.


Armand Hauchecorne sollte Direktor der Société de Rapprochement Intellectuel Franco-Japonais (日仏文化協会, Nichifutsu bunka kyôkai) werden. Diese Bemühungen um Annäherung und nipo-französische Zusammenarbeit waren mit dem Wirken von Paul Claudel verbunden, der zwischen 1921 und 1927 dort lebte. Zuvor war er in Brasilien, wobei ihn als Sekretär Darius Milhaud (1892-1974) 1917 nach Rio de Janeiro begleitete, dessen Werk Saudades do Brasil nicht nur einen Markstein franco-brasilianischer Beziehungen setzte, sondern auch zum Emblem der Erneuerungsbewegung wurde, die, vom Mozarteum ausgegangen, von Martin Braunwieser (1901-1911) in Brasilien vertreten wurde. Nipo-französische und franco-brasilianischen Bestrebungen zur Verstärkung internationaler Kooperationen interagierten somit mit den Interessen für Japan an der Fakultät des Musikinstituts São Paulo, die bis 1972 von Martin Braunwieser geleitet wurde.


Ab 1977 wurden im Rahmen der musikethnologischen Sektion des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien die Interaktionen zwischen Europa und Japan durch verstärkte Beachtung der christlichen Missionsgeschichte seit dem 16. Jahrhundert vertieft. Die vorhergehenden Studien in Brasilien konnten durch ihre Ausrichtung auf Prozesse der Interaktionen und Wandlungen von Kulturen in Migrationsstudien neue Perspektiven für die Problematik der japanischen Wirkung katholischer Missionare eröffnen. Die Auseinandersetzung mit der Missionsgeschichte Japans war wiederum für die Japaner und deren Nachkommen in Brasilien mit ihrer bedeutenden katholischen Gemeinde von Relevanz.


Damit konnte die nipo-brasilianische Thematik beim I. Internationalen Symposium Kirchenmusik und Brasilianischen Kultur präsent sein. Prof. Sonia Kishida erarbeitete als damalige Teilnehmerin der musikethnologischen Kurse in São Paulo eine Studie, die in der Sammlung von Texten veröffentlicht wurde, die als Ausgangsbasis für die kultur- und religionswissenschaftlichen Diskussionen dienen sollte.



Text basierend auf Niederschriften des von A.A.Bispo geleiteten Oberseminars

„Aktuelle Probleme anthropologischer Musikwissenschaft“ an der Universität Bonn 2003 und des Hauptseminars zur kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung an der Universität Köln 2005.