AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo

blasquintentheorie

rethinking


rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien

1970-1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo

fachbereiche
ästhetik, wahrnehmung, strukturaktionstheorie, fundamente der expression und kommunikation des menschen

Erich von Hornbostel

1877 - 1935

Von Hornbostel wurde eine besonders aufmerksame Betrachtung bei den Besprechungen der Fachliteratur im Fach Musikethnologie der Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo zwischen 1972 und 1974 gewidmet.


Das Studium der Publikationen von E. von Hornbostel in der Musikethnologie wurde zusammen mit dem Fachbereich Ästhetik unternommen. In diesem wurden auch systematische Studien (Strukturaktionstheorie/„Estruturação“) durchgeführt.


Diese besondere Beachtung von E. von Hornbostel in Brasilien ist in erster Linie darin begründet, dass er sich mit seiner Studie Über einige Panpfeifen aus nord-west Brasilien (1910) nicht nur auf Brasilien bezieht, sondern auch die Diskussion über die Blasquintentheorie entfacht hatte, die über Jahrzehnte nicht ohne Polemik geführt wurde. Diese Theorie prägte nicht nur die Debatte in der Vergleichenden Musikwissenschaft, sondern auch die theoretischen Überlegungen zur Entwicklung des Musiksystems überhaupt, die auch musikgeschichtliche Betrachtungen in weltweiten Zusammenhängen beeinflusste.


Für die Studien indigener Musik Südamerikas war auch seine Studie Fuegian Songs aus dem Jahr 1936 von Bedeutung, und seine Studie African Negro Music von 1928 beeinflusste die Ansichten zu afrobrasilianischen Themen, die  in den 1930er und 1940er Jahren unter dem Estado Novo besonderes Interesse erlangten.


Bei der Besprechung der Publikationen von Erich von Hornbostel werden Potentialitäten – die Notwendigkeit – aber auch Gefahren einer weltweiten Ausrichtung der Denk- und Sichtweisen hervorgehoben. Es wird angemerkt, dass, obwohl von Hornbostel durch seine Artikel zu Panpfeifen in Brasilien bekannt ist, seine Studien weite geographische Regionen und verschiedene Probleme erkennbar werden lassen.


Seine Publikationen waren in ihrem Umfang durch die Bibliographie, die in Ethnomusicology Newsletter N° 2 1954 erschienen ist, erfassbar. Mehrere Texte schrieb er mit anderen Musikforschern zusammen, u.a. mit dem Ton- und Musikpsychologen Otto Abraham (1872-1926), wie die richtungsweisende Arbeit Tonsystem und Musik der Japaner von 1903.


Die Fokussierung in den Arbeiten auf das Melodische, die Unterscheidung zwischen vokaler und instrumentaler Melodik sowie auf die Stimmungen im theoretischen und praktischen Sinn prägten die Arbeiten einiger brasilianischer Autoren.


Die Arbeiten von Erich von Hornbostel waren für Brasilien auch von Bedeutung hinsichtlich der Transkription und der Tonaufnahmen in der Musikforschung, die seit dem Einsatz des Phonographen von Edgard Roquette Pinto (1884-1954) bei der „Mission Rondon“ sowie und vor allem bei der Mission volkskundlicher Forschung im Nordosten unter der Leitung von M. Braunwieser (1901-1991) besonders relevant waren. Die Diskussion über die Bedeutung, die Berechtigung bzw. die kontextgerechte Anfertigung von Transkriptionen, ausgehend von den Vorschlägen zur Transkription exotischer Melodien von 1909 wurde über Jahrzehnte geführt. Die Verwendung von Aufnahmegeräten bei der Mission zum Nordosten Brasiliens des Kulturamts São Paulo in den 1930er Jahren unter der technischen Leitung von Martin Braunwieser erhielt Anregungen in seinem Text über die Bedeutung des Phonographen für die vergleichende Musikwissenschaft von 1904.


Erich von Hornbostel erlangte Bedeutung für die Musikstudien in Brasilien durch die Systematik der Musikinstrumente von 1914, die auch mit dem Namen von Curt Sachs (1881-1959) verbunden ist. Die Systematik wurde zur Grundlage der Klassifizierung und Anordnung von Musikinstrumenten in Sammlungen von Museen und Tonarchiven, wie der des Tonarchivs von São Paulo. Sie wird auch in Kursen zur Instrumentierung in Konservatorien und Hochschulen verwendet.


Gerade gegen diese Systematik erhoben sich grundlegende Einwände aus kulturwissenschaftlicher Sicht, die u.a. im Kreis von Volkskundlern des Museu de Artes e Técnicas Populares diskutiert wurden und die zu Debatten in den folgenden Jahrzehnten in Brasilien und in Europa führten.

Text basierend auf Niederschriften der Vorlesungsreihe „Musik in der Begegnung der Kulturen“ von Prof. Dr. A. A. Bispo, Universität Köln 1997-2000, des Kolloquiums zu Problemen anthropologischer Musikwissenschaft an der Universität Bonn 2003 und u.a. der Vorlesung zum kulturwissenschaftlichen Ansatz in der Musikwissenschaft, Köln 2005.